Ich glaube, ich bin der einzige zentral-europäische Wirtesohn der kein Bier trinkt. Irgendwann hat man dieses Getränk schon auch ausprobiert, aber mit dem bitteren Geschmack konnte ich mich als Jugendlicher nicht anfreunden. Als Lehrling, die Zeit der grossen Süffe, war bei mir nie Bier im Spiel. Wein und Schnäpse hatten es mir damals angetan.
Das erste bewusste Bier habe ich erst mit 21 Jahren getrunken und ich konnte das bittere, erfrischende Getränk, sowohl der daraus resultierende Schwips auch geniessen. Aber eben, Bier wurde nie meine tägliche Stimulanz, wenn’s im Jahr drei Panaché sind, ist es schon aussergewöhnlich.
Vielleicht haben mich die drei folgenden Geschichten geprägt.
/// Wir hatten unter Linden und Kastanienbäume eine sehr grosse Gartenwirtschaft. Einmal hatten sich Studenten-Verbände für ein Fest im Garten angemeldet. Grössere Gruppen kamen zum Teil zu Fuss von Bern durch den Forst gelaufen und so wie sie zum Laupenwald rauskamen, waren die schon stockbesoffen. 200 Akademiker, oder mehr, verschiedenen Alters in unserer lauschigen Gartenwirtschaft. Das Bier floss Fässer weise, es wurde gekotzt, gepisst, randaliert, es war laut und grob – für mich als Kind wie Krieg im Haus. Die akademischen Altherren haben dann jeweils den jungen Füchsen Aufgaben aufgetragen, z.B. : «Holt mal dem Wirt seine Krawatten.»
So hatten wir die besoffene, studierte Drecksbande nicht nur im Gastrobereich, sondern auch in unserer Wohnung wo sie das elterliche Schlafzimmer auseinandergenommen hatten. Arrogant, frech, blöd und gewaltätig. Mein Vater hatte viel Arbeit, diese ausufernde Gesellschaft im Griff zu halten. Zwei mal habe ich erlebt, wie er die Nerven verlor und mit seinen grossen Händen zuschlug. Es waren so klassische vaterländische Watschen, aber so heftig, dass die Studenten K.o. am Boden lagen. Für mich als Kind war das bedrohender, nackter Terror. ///
/// Meine Mutter hatte nicht gerne wenn wir Beiz sagten, dass sei keine Beiz sondern eine Wirtschaft. Die «Linde» war sicher keine Knelle, eher so ein normalbürgerliches Restaurant mit vielen langjährigen Pensionären, Jasser, Vereinen, Konfirmationsessen usw. einfach alles was in einem Landstädtchen so anfällt.
Und eben, schräg über die Strasse gabs eine Metzgerei, ein Familienbetrieb mit vielleicht zwei Angestellten. Irgendwann hat diese Metzgerei gewaltig vergrössert und hatten eine Vielzahl von Arbeiter eingestellt und im Schlachthaus ging es Industriell zu und her.
Es gab eine Zeit, da kamen die Metzgersburschen, zu zehnt oder mehr, immer Freitags am Feierabend zu uns zum Wochenausklang und zum Sauffen und was haben sie gesoffen? Bier natürlich. Es waren zum Teil grobschlächtige Gestalten und mehrheitlich Junggesellen. Sie sassen immer im Sääli, neben der Gaststube und das Bier floss in Strömen. Die Stimmung ging schnell über das frivole hinaus ins grobe, ins rassistische, ins sexistische, ins gewalttätige, laut, dominant und widerlich.
Meine Mutter musste dauernd die jungen Serviertöchter beschützen, wenn der Sexismus übers Verbale hinaus körperlich wurde. Es gab auch Serviertöchter, die haben das erotische gesucht, aber die Mutter war immer zur Stelle. Für mich als vorpubertierender wars halt auch irgendwie spannend, aber auch befremdet weil verlogen, versteckt, grob, und blöd – diese biergeschwängerten Balzrituale.
Eine Stimmung, die man sich als Wirtefamilie überhaupt nicht wünscht. Irgendmal ging dieses wöchentliche Saufgelage zu Ende und Freitag abends kehrte wieder Normalität ein. Nicht dass es bei uns nie laut gewesen wäre, nein das ging manchmal auch bunt zu und her, der Alkohol hat die Kehlen geöffnet, so wurde manchmal gesungen und im Sääli stand noch ein Klavier, aber immer irgenwie mit Humor und Stil und nicht dieses Macho-Männer-Bier-Gekotze. ///
/// Mein Vater, Norditaliener mit normalguter Schulbildung, gelernter Mechaniker und hereingeheiratet wurde als Wirt schnell mal Anlaufstelle für all die ersten süditalienischen Gastabeiter die es nach Laupen verschlagen hat. Diese junge bunte Schar arbeitete in den Fabriken, im Gewerbe oder auf dem Bau. Sie zeigten uns jungen Laupener zB. wie artistisch beim Fussballspielen die Ballbehandlung sein kann.
Rolf Könitzer, Urgestein der Berner Rock Scene, damals Handlithograf in einer Laupener Druckerei und über längere Zeit Mittagsgast bei uns im Restaurant, organisierte ein Rockkonzert, eine Sonntags-Matinee im Kino Hirschen. Ich war in der achten Klasse, wo mir dieses Konzert eine total neue Welt offenbart hat. Richtige Live Rockmusik, in Laupen damals eine absolute Novität. Der Rolf als Leadgitarrist & Sänger und begnadeter Chuck Berry Coverer und in der Rhythmus-Sektion der Mimmo, der Michele und der Giuseppe, die Fremdarbeiter aus Kalabrien.
Das tönt alles so romantisch, aber die Kontingentspolitik, der Saisonier-Status, hatte für die jungen Italos zum Teil eine ganz triste Schattseiten. Aus sozialen Gründen ihrer Heimat entflohen, fremd in fremdem Land, entwurzelt und als Tschinggle betittelt , (das schweizerische Pendant zum amerikanischen Nigger), ohne Familie oder Geliebte und mit der Italiener-Krankheit befallen, (ein damaliger Ausdruck) gemeint war Heimweh und Depression.
Meine Eltern hatten die Idee aus dem Kaffee-Stübli, bis dato ein Raum für Sitzungen und kleine Bankette, einen Italo-Treff zu machen, mit Musik-Box. Und da haben sie dann zum Teil ihre Freizeit verbracht, Karten gespielt und Bier getrunken. Und immer mehr Bier, war halt als Rauschgetränk günstig, aber entsprach überhaupt nicht ihrer Trinkultur und es wurde immer mehr. Nicht in die Lust, in das Elend haben sie gesoffen. Dann gabs Schlägereien und als die Bierhumpen durch den kleinen Raum flogen, waren meine Eltern gezwungen, das Italo-Stübli zu beenden. ///
Ich kann alleweil zwischen einem guten und einem schlechteren Bier unterscheiden und manchmal denke ich, dass mit dem alten Rauschmittel Bier edler umgegangen werden sollte. Manchmal frage ich mich auch, ob Bier blöd macht? Nein sicher nicht, es gibt höchstens blöde Biertrinker und die werden dann einfach noch blöder – da kann eigentlich das Bier auch nichts dafür, oder doch?
Ich weisse es nicht, aber ich weiss, dass wenn es in unserem Restaurant sackgrob wurde, immer Bier im Spiel war – ob ich vielleicht deswegen dieses Getränk meide?