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Zueversicht

I hocke im Bahnhof u luege Lüt a.
Die wo abfahre interessiere mi weniger, aber die wo achöme. Unger dr Uhr u die hani o scho dopplet gseh, hets zwe Fahrplän. Eine für d’Abfahrte u eine für d’Akünft. Die meischte Lüt wo Fahrplän läse, luege die für d’Abfahrte a. I würd scho ender dr anger, aber i maches nid.

I hocke eifach da, trinke Gaffee u tue warte u luege Lüt a. Schöni Lüt, wüeschti Lüt, luschtegi Lüt, truregi Lüt, Auti, Jungi, Bleichi, Schwarzi – aui lueg i a. Die einte mache mi nachdänklich, angeri ds’lache oder ds’schtune. Bi paarne lueg i zwöimau häre u bi vieune chumi mir besser vor.

I cha o dür au die Lüt düreluege, de gsehn’i hingerdra äs glarigs Schoufänschter vomene Reisebüro u dert schpringt ä schöni Frou über nä Sandschtrand i die ungergehendi Sunne.

I säuber tue nid gärn reise, blibe lieber hie u tue warte u luege.
Oepe mau köri die quitschende Brämse vome ne ifahrende Zug u de wirt mi Atem schneuer. I luege u luege u luege u dr Atem wird de wieder normau u i bschteue äs nöis Gaffee. I ha Zyt. Irgend einisch muess Sie cho!
U migottstüüri dert chunnt sie, i gloubes nid, muess drümau luege, äs isch se. Mi Puls raset. Sie chunt schier cho ds’schwäbe u verschwindet plötzlich imene Passfoti-Outomat. I trinke schnäu us u loufe übere. Aes blitzt vier mau, i warte vorem Vorhang, dr Apparat isch am schaffe u i bi nervös. Eigentlich sött sie jitze use cho, aber äs passiert nüt. I bi unsicher, wots wüsse u risse dr Vorhang uf. Ufem Dräischtuel ligt ä dunkurote Lippeschtift – süsch isch Kabine läär.
I bi verwirrt, luege umenang, zie die mittlerwile entwicklete Föteli usem Schlitz u gseh ihre Chopf. Vier mau, vo aune Site einisch. I ha Schweiss uf dr Schtirne u nä ustrochneti Schnurre. Usse am Outomat hanget äs Täfeli wo druf schteit: Defekt. I gloube i schpinne, wanke übere i d’Beiz u bschteue äs dopplets Lutz.

Dr Föteli-Schtreiffe trochnet ganz u verbleicht zuenämend u räschtlos… – chlopfet mir ä Sekuritas uf d’Schultere u meint: I söu ufwache, dass sig äs Restaurant u ke Schlafsau. Ob das mini Notize sige, äbe de söu i Platz mache u das Züg mitnä.
I packe zäme u schta uf. Im Schoufänschter vom Reisebüro vis a vie schteit dr Sensema u zwinkeret mir mit äm einte Oug zue. I ga zuenim häre u frage was är wöu. Aer heig äs Sonderagebot u bietet mir zum Nulltarif die letschti Reis a. I lehne dankend ab, heig vieu z’tüe u morn ä schtränge Tag.

D’Bahnhof – Uhr louft mitlerwile hingerzi. I ga hei, wott morn cho witerwarte.
I ha Zyt u irgend einisch muess sie cho!

Haut glich

U de schtani so da
u luege die angere a
u säge zue’mir:
Chum Morelli, muesch nid jammere,
süsch lueg doch mau die angere a.
U de luege i die angere a
u de geits mir grad wieder besser.

Wenn ig aber gseh,
wie die angere mi aluege,
de überchumi de langsam Schiss.
Dänke ächt die über mi,
ämänt öpe no so wi ni über sie
u de chönnts ja de ono si
dass es ihne no wöhler isch dr bi
u de dänki de haut aube gliech
ig sig ä arme Siech.

Hospiz oder Heimat

I ha zwe Froue ka, ds Greti u ds Käthi.
Mit dr einte hani ä Tochter u mit dr angere ä Sohn.
I ha beide gärn u bi sit Jahre, klangheimlich u unbemerkt, zwüsche däne zwöine Bett u Hushäut hin u här keit.
Auso guet, eifach isch’s ja nid gsi u mängisch hani fei chlei Gschichtene müesse erfinde, wes z.B. het gheisse: Was isch das für nes blonds Haar? oder: wo chunt jitz das länge schwarze wieder här? oder: bruchsch du neuerdings Parfüm? oder: was si das für roti Fläcke a dim Haus? oder: hüt Morge hesch doch ä angere Chittu a ka! u.s.w. Eh ja, äs isch nid eifach gsi – item.

Die zwöi Ching si mittlerwile ir Schtifti u im Gymer u dr Zuefau hets wöue, dass sie sich vo letscht ire Disco hei lehre  kenne u drus ä Fründschaft gwachse isch. I beide Hushäut hani de o chönne alose, wie si nis hei erklärt, sie möchte mau dr Fründ, respektive d’Fründin hei zum’ene ds’Nacht ilade, bi ja säuber gschpannt gsi was üs da erwartet.

D’Frou, d. h. Käthle u i heinis de o bereit erklärt öpis ds’choche u irgend einisch hets de glütet. Tochter isch ä chli nervös aber ganz schtouz ga uftue u wär schteit uf dr Schweue: mi Sohn. U hät är nid Wifläsche im Outo vor Mueter, wo ne het häregfahre, vergässe, de wär nämlich d’Gretle nid o no ufe cho u wär a däm Abe i ds Theater.

Jä nu, mir hätte ja o gnue kochet ka, aber so hets haut de unerwarteti Menüänderige gä. Aus Vorschpis Konschternation u Cognac, aus zwöite Gang Agressione u Bordeaux, dr drit Gang Depressione u Münzetee u zum Dessär no i Inzucht igleiti Träne.

Eh ja, äs isch aus ä chli komisch gsi a däm Abe. I ha mi de gli mau verabschiedet u bi mit vouer Blase u lärem Mage i ds Hospiz zur Heimat ga übernachte.
I de fougende Täg, hei mir de Gretle u d’Käthle, unabhängig vonenang, ds’gschpüre gä, i müess mi entscheide, entweder Hospiz oder Heimat, aber beides lig nid drin.

I weiss doch o nid, äs isch schwirig, i ha beide gärn u eigentlich hets ja so wyt nid schlächt funktioniert. Schad, jä nu, hami entschiede: I zügle morn ine schwuli Giele-WG u de lamer no grad ä Schpirale la inetue – wot nid no mau schwanger wärde.

 

I u mi Tod

Wo mi Mueter mi het gebore, isch grad nach dr Abnabelig mi persönlich Tod a mini Site cho. Aer isch de drufabe no a ds’Wuchebett, het sich vorgschteut u meint, är übernämi mi jitz. Woruf d’Mueter seit, är söu de nid z’grob mit mir umga. Für tragischi Schicksalsschleg sig är nid zueschtändig, är begleiti mi nume dür ds’Läbe u wes mau nache sig, de nähm är mi a dr Hang u füer mi düre Schleier u meh heig är nid z’tüe.

Aus Ching ha’ni zu mim Tod no ke tieferi Beziehig ka un’äs Bewustsi über d’Aendlichkeit isch ersch schpäter cho, aber aus erwachsene Ma ha’ni de gli mau gmerkt, dass mi Tod ä verlässliche Partner u’nä tröie Compagnon isch.

Vieu Jahr schpäter ha’ni de mau zuenim gseit: Du Tod, drümau ha’ni dir i mim Läbe bewusst d’Hang usgschtreckt u äs paar mau o mit unüberleite, gfährliche Akzione, du heschse jedesmau gno u se fescht ghäbt, aber wärum hesch de du mi Hang aube wieder los gla, wenn i se zrüggzoge ha?

Lue, das isch mi Ufgab, das isch mi Job, i cha nüt angers u wenn du mir d’Hang usschtrecksch u so äs Zeiche gisch, ja klar, de nimese, de gömer zäme u i füere di düre Schleier. Was uf dr angere Site vom Schleier isch, das weis i nid, geit mi nüt a u nimmt mi überhoupt nid wunger, i weis eifach, dass die wo’ni düre Schleier füere nümme zrüggchöme. I aber blibe uf dr hiesige Site, wieu i bi dr Tod u i köre zum Läbe. U jitz zu dire Frag, wenn du mir d’Hang usschtrecksch, ja guet, de packese, aber wenn i gschpüre, dass du se wieder zrüggziesch, de la se la ga, wieu mir pressierts nid, i ha Zyt u irgendeinisch körsch du mir sowiso.

D’Ehrlichkeit u d’Verbindlichkeit vo mim Tod schetze’ni sehr – mir zwe si nes richtig guets Duo.

Eine Notiz von Ueli Remund über Marco Morelli

Anmerkung von mir: Ueli war mein 4.-Klass Lehrer

In Bern wird das Stadttheater umgebaut. Derweil bespielt man auf dem Waisenhausplatz ein grosses Zelt, den sogenannten Kubus. Hat 500 Plätze, und die Aussenhaut ist ein einziges Trompe d’oeil der Fassade des Stadttheaters. Jetzt, im Juli, während der Sommerpause, spielt dort der Marco Morelli, vielleicht der begabteste Schüler, den ich je hatte. Der hätte nicht nur Clown werden, der hätte zum Beispiel auch Kunstmaler werden können. Was der zeichnete und malte in der Schule, das war immer auffallend eigenständig und schön. Wir haben von seinem Gastspiel in der Zeitung gelesen und gehen nun hin. Als wir ankommen, ist der Eingangsbereich des Kubus schon gut besetzt. Keine Kasse. Dafür ein Hut beim Eingang, so wie er das immer gemacht hat. Also auch hier, im Stadttheater-Kubus. Vorn auf dem Podest steht schon alles bereit. Die Dinge, die Marco braucht, er braucht sie schon ewig, wie er während der Vorstellung bemerkt. Schon als er in den Achtzigerjahren mit dem legendären Zampanoo’s Variété auftrat, benützte er zum Teil die gleichen Requisiten. Neben dem Podest trifft Marco die letzten Vorbereitungen. Ich gehe grüssen und überrasche ihn dabei, wie er seinen Zahnprothesen mit Haftpaste den nötigen Halt zu geben versucht. Sonst habe er Probleme beim Blasen der Trompete und des Alphorns, erklärt er. Der Marco hat also keine eigenen Zähne mehr. Er habe innert acht Monaten im Anschluss an das Drama mit seinem Elternhaus, dem Restaurant «Linde», sämtliche Zähne verloren, sagt er.
Dann die Vorstellung. Einfach Morelli. Immer noch. Auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Spuren vor allem in seinem Gesicht. Morelli heute, das ist ein vom Leben gezeichnetes Gesicht über einem jungenhaft wirkenden Körper, der beweglich geblieben ist. Alles, was Marco macht, ist gut. Er singt gut und ausdrucksvoll, spielt gut Trompete, zeigt gute Kunststücke und Zaubertricks, singt eigene Songs. Gute Songs. Begleitet sich gekonnt auf der Gitarre. Zwei Stunden lang. Leider eine halbe Stunde zu lang. Weniger wäre mehr gewesen. Er müsste die Peinlichkeiten in seinem Programm, falsche Brüste aus Jonglierbällen etwa, weglassen. Ich denke, hätte er sich mal von einem guten Regisseur etwas sagen lassen, er wäre ein grosser Komiker geworden. Ein grosser Komiker war er wohl immer. Aber er hatte nicht dessen breiten Erfolg. Zu viel Eigensinn, zu viel Widerspruchsgeist. Er hat die Leute immer vor den Kopf gestossen. Das braucht er wohl, um von sich den Eindruck zu haben, ehrlich und echt zu sein. Anderseits: Hätte er sich führen lassen, wäre er nicht mehr der Marco Morelli gewesen, dieser absolut einmalige Mensch, der an seinen Träumen und Überzeugungen festgehalten hat. Übrigens: Das Foyer wurde dann gestossen voll. Am Schluss starker Applaus. Für einen echten Künstler.

Ueli Remund Sommer 2016

http://www.literapedia-bern.ch/Remund,_Ueli

http://tls.theaterwissenschaft.ch/wiki/Ueli_Remund